M. Sandl: Medialität und Ereignis

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Titel
Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation


Autor(en)
Sandl, Marcus
Erschienen
Zürich 2011: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
596 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Kirstin Bentley, Historisches Seminar, Universität Basel

Die Konstanzer Habilitationsschrift des zurzeit an der Universität Zürich lehrenden Historikers Marcus Sandl erscheint als ein gewaltiges Unterfangen. Auf über 500 Seiten widmet sie sich der Reformation aus kommunikationsgeschichtlicher und medientheoretischer Perspektive. Medien und Reformation, um bei den Schlagworten zu bleiben, bilden schon längere Zeit ein Forschungskollektiv: Seit den 1980er Jahren werden die Verbindungen zwischen publizistischer Propaganda, Druckmedien, der enormen Expansion des Buchmarktes zu der Zeit und den reformatorischen Umbrüchen intensiv erforscht – 2002 attestierte Johannes Burkhardt der Reformation gar eine Medienrevolution.1 Nun gesellt sich mit «Medialität und Ereignis» ein Buch dazu, das diese Forschungen ergänzt.

Sandls «Zeitgeschichte der Reformation» wird im Wesentlichen um drei Begriffe zentriert: Medium, Ereignis und Diskurs. Während der Diskurs ganz klar als ein theologischer definiert wird, werden Medialität und Ereignis durchaus weiter und unkonventioneller aufgefasst – stark beeinflusst von neueren Medientheorien. Das Ereignis wird nicht als historiographisch klar zu bestimmendes Objekt verstanden, sondern es geht darum, das Ereignis, wie es just zeitlich in dem Moment geschieht und in seinen Verweisungszusammenhängen, zu sehen. Auch interessiert Sandl das «Spiel von Differenzen» zwischen den Medien, Ereignissen und Diskursen, das «Dazwischen», das in Unterscheidungen, Übergängen, im Transitorischen, im Verschwinden und Entstehen manifest wird. Dabei gliedert er das Werk grundsätzlich in zwei Teile vor und nach 1530, ebenjenem Jahr eine Scharnierfunktion zuweisend.

Sandl macht bereits in der Einleitung klar, dass seine Studie im Gegensatz zu den meisten momentan dominierenden Konzepten in der Reformationsgeschichtsschreibung an ältere Forschungstraditionen anschliesst, die in der Reformation einen epochalen Umbruch sehen (S. 37). Das «reformatorische Ursprungsereignis » (S. 511) des Thesenanschlags 1517 markiere eine «Zeitenwende», die als solche dann auch Geschichte mache. Die Reformation formierte sich mit einem öffentlichkeitswirksamen Akt, einer «Setzung» – sie setzte aktuelle Präsenz gegen überlieferte Tradition, «Zeitlichkeit und Geschehnischarakter eines wirksamen Gotteswortes» gegen die «zeitlose Wahrheit der scholastischen Dogmatik» (S. 511). Nach Sandl – etwa am Beispiel des Ablassstreits oder dem lutherischen Schriftprinzip exemplifiziert (S. 68–126) – wurde demzufolge nicht auf ein Symbolsystem zeitloser Wahrheit rekurriert, sondern auf die Evidenz göttlicher Offenbarung im Subjekt, dem sich Gotteserkenntnis und Glaube nur im Moment des Sich-Ereignens darstellen. Der Vergangenheit wird also sozusagen aufgekündigt, und in der Naherwartung, in der Luther sich wähnte, verlor auch das Zukünftige an Bedeutung. Die Zeit wurde zusammengezogen und zur Ereignishaftigkeit der Gegenwart verdichtet.

Diese Fixierung auf das Präsentische steht nun aber im Widerspruch zum Problem, dass die Reformation eben nicht das Ende der Geschichte war. Die Apokalypse liess weiterhin auf sich warten, und die Reformation dehnte sich dadurch zeitlich aus. Dies bedeutete einerseits, dass Strategien zur Sicherung der Dauer der Reformation implementiert werden mussten; und andererseits, dass ein zunehmendes Bewusstsein der eigenen Geschichtlichkeit aufkeimte: Die Reformation wurde zur Geschichte und so auch zu einem Subjekt von Geschichtsschreibung. So sieht Sandl das Jahr 1530 mit der Confessio Augustana als «historisch-historiographische Achsenzeit» (S. 514), ab ebendieser das Wirken der Reformation neben der Aktualität auch das zukünftige Weiterbestehen umfassen musste. In diesem zweiten Teil der Arbeit wird dementsprechend die Historisierung des reformatorischen Selbstverständnisses in den Fokus gerückt. Die Veränderungen zeigt Sandl vor allem anhand von Melanchthons vera doctrina christiana, der Diskussion nach dem Verhältnis zwischen Religion und Politik, dem Beginn der Geschichtsschreibung über die Reformation, sowie durch Fragen nach dem Umgang mit dem Erbe Luthers, insbesondere seinen Texten, und den innerlutherischen Zwistigkeiten nach Luthers Tod.

Marcus Sandls Studie ist kein Buch, das man «einfach so» liest. Der zuweilen hermetische Sprachduktus und der hohe Grad an Abstraktion verlangen den Lesenden ein grosses Mass an Konzentration ab. Auch eine gewisse Vorbildung in Philosophie, Theologie und nicht zuletzt Kenntnisse neuster, medientheoretischer Konzepte sind beinahe unabdingbar. Ebenfalls ist die Studie eine «Topdown»-Geschichte, handelt es sich beim Quellenkorpus doch vor allem um Kanontexte von zentralen, theologisch gebildeten Akteuren des Reformationsgeschehens – allen voran Luther und Melanchthon. Dennoch bietet die Lektüre theologisch versierte Ausführungen zu Kernmomenten des reformatorischen Geschehens, anhand einer beeindruckenden Anzahl Quellen dargelegt (auch gerne ausführlich im Original zitiert) und unterfüttert mit breiter Kenntnis der Reformationsforschung. Die Studie zeigt die Verflechtung unterschiedlicher Medien, Formen von Repräsentation sowie Kommunikation und dem Umgang damit auf. Auch weist sie uns grundlegend darauf hin, dass historische Realität medial konstruiert wird – von Zeitgenossen als auch von der späteren Forschung. Zudem demonstriert Sandl damit, wie man die jüngere, besonders medientheoretisch orientierte Theorielandschaft für die historische Forschung fruchtbar machen kann.

1 Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002.

Zitierweise:
Kirstin Bentley: Rezension zu: Marcus Sandl: Medialität und Ereignis. Eine Zeitgeschichte der Reformation. Zürich, Chronos Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 1, 2014, S. 179-180.